Titel
Malcinstvenata politika v Bulgarija. Politikata na BKP kum evrei, romi, pomaci i turci 1944-1989. (Minderheitenpolitik in Bulgarien. Die Politik der Bulgarischen Kommunistischen Partei gegenüber den Juden,Roma, Pomaken und Türken 1944 bis 1989. Übersetzung aus dem Deutschen Ivo Georgiev


Autor(en)
Bjuksensjutc, Ulrich
Anzahl Seiten
247S.; 31Tabb.
Preis
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Stefan Troebst, GWZO

Während des bald 125jährigen Bestehens des bulgarischen Nationalstaates wurde das Verhältnis von Titularnation und Zentralregierung auf der einen Seite und den zahlreichen, z. T. auch zahlenmäßig starken Minderheiten dort auf der anderen die meiste Zeit vor allem von zwei Faktoren bestimmt: Zum einen haben Staat und Regierungen gegenüber ihren in ethnischer Hinsicht "devianten" Bürgern zielstrebig eine Politik forcierter Assimilierung mit dem Ziel völliger nationaler Integration betrieben, und zum anderen ist eben diese Politik Sofias mehrfach aufgrund des Einflusses externer politischer Faktoren beschränkt bzw. gestoppt, ja periodisch gar in ihr Gegenteil verkehrt worden. Bereits in seiner Geburtsstunde wurden dem bulgarischen Nationalstaat vom Berliner Kongreß 1878 gravierende Beschränkungen hinsichtlich einer ethnischen Unifizierungspolitik bzw. gar "Säuberung" großer nicht-bulgarischer bzw. genauer: nicht-orthodoxer Bevölkerungsteile wie Juden, Türken, Tataren, Pomaken, Katholiken, Armeniern u. a. auferlegt.

Doch selbst orthodoxe Nichtbulgaren wurden dadurch nicht wirkungsvoll geschützt, wie etwa die Vertreibung der Schwarzmeer-Griechen in den Jahren 1905 bis 1907 belegt. Auch der Friedensvertrag von Neuilly-sur-Seine von 1919 enthielt Minderheitenschutzklauseln, jetzt bereits partiell schon entsprechend modernen "nationalen" Kriterien. Folgerichtig wurden in der Zwischenkriegszeit vor allem als wenig resistent eingestufte ethnische Gemeinschaften wie diejenige der ostsüdslawisch sprechenden muslimischen Pomaken Ziel staatlichen Assimilierungszwanges. Im Zweiten Weltkrieg gerieten dann Juden und Griechen in das Visier bulgarischer Minderheitenpolitik, und das sowohl im Altreich wie in den nun besetzten bzw. annektierten Teilen Makedoniens und Thrakiens. Während die Griechen Thrakiens und der Insel Thasos selbst durch eine Politik des Aushungerns nur zu einem geringen Teil zur Flucht gezwungen werden konnten, wurden mehr als 11.000 vardarmakedonische und thrakische Juden interniert, in die deutschen Vernichtungslager deportiert und industriell vernichtet.

Erst die sowjetische Besatzungsverwaltung der Jahre 1944-1947 verdammte die nun "volksdemokratische" bulgarische Regierung zu weitgehender Untätigkeit am Unifizierungswerk, ja erzwang eine 180-Grad-Wende: Die ethnischen Gruppen der Türken, Makedonier, Roma, Juden, Armenier, Tataren u. a. konnten nun mit aktiver staatlicher Hilfe ihr jeweils eigenes Schulwesen aufbauen, kulturelle Organisationen gründen, eigene Printmedien herausgeben und anderes mehr. Mit dem Abzug der Roten Armee im Dezember 1947 deutete sich hier aber bereits eine Kurswende an, die in der Tauwetterperiode der fünfziger Jahre offenkundig wurde. In den Jahren zwischen 1948 und 1958 kehrte die nun regierende kommunistische Partei der neuen Volksdemokratie zur minderheitenpolitischen Tradition von Fürstentum und Königreich zurück, um in drei weiteren Schritten von 1962, 1971 und 1984 die Schraube fester denn je anzuziehen.

Vor allem die staatlicherseits erzwungene Änderung der Vor-, Vaters- und Familiennamen der bulgarischen Türken in der zweiten Hälfte der achtziger Jahre bewirkte ein beispielloses Ansteigen interethnischer Spannung in dem nun bereits stark krisengeschüttelten Balkanstaat. Diese Spannung und ihre partielle Eruption in Form eines Exodus von mehr als 300.000 bulgarischen Türken - drei Prozent der Gesamtbevölkerung! - in die Türkei trug maßgeblich zum Sturz der Parteioligarchie im November 1989 bei. Einen minderheitenpolitischen Paradigmawechsel bedeutete die Rochade an der Parteispitze indes nicht, wie dies auch nicht für den Machtwechsel von Postkommunisten zur neuen Opposition galt. Der Umstand, daß die politische Klasse der Titularnation unter den neuen Rahmenbedingungen von Marktwirtschaft, Rechtsstaatlichkeit und Demokratie nun mit dem Widerstand der derzeit ca. 20 Prozent Nichtbulgaren in Gestalt von Parteien, Organisationen und Interessenverbänden auf ethnischer Grundlage rechnen müssen, hat die ethnopolitischen Gewichte indes deutlich verschoben. Denn die numerische Pattsituation zwischen ehemaligen Kommunisten, ehemaliger Opposition und ehemaligen Monarchisten hat die größte Partei der Nichtbulgaren, die türkisch dominierte "Bewegung für Rechte und Freiheiten", zum Zünglein an der Waage gemacht. Somit ist es paradoxerweise das nichtbulgarische Fünftel des Staatsvolkes, das den Nationalsstaat der in sich politisch tief zerstrittenen bulgarischen Titularnation erst regierbar macht - die groteske Folge von über hundert Jahren ebenso massiver wie verfehlter nationalstaatlicher Assimilierungs- und Aussiedlungspolitik.

Der Berliner Südosteuropahistoriker Ulrich Büchsenschütz hat sich aus dem Dutzend Dezennien, die die Mesalliance von Bulgaren und Nichtbulgaren im neuzeitlichen Bulgarien anhält, die unzweifelhaft bewegteste Periode herausgesucht. Die Jahre 1944-1989, die vom Einmarsch der Roten Armee in das mit NS-Deutschland verbündete Balkanland bis zur von Michail Gorbatschow gesteuerten Sofioter Palastrevolte reichen, beinhalten die größte Amplitude in der Politik der bulgarischen Zentralregierungen gegenüber der ethnischen Peripherie des Landes. Sie sind darüberhinaus der quellenmäßig noch immer am schwersten zu fassende Zeitabschnitt in der Geschichte des bulgarischen Nationalstaats. Zwar hatte der Autor keinen Zugang zu den Primärquellen von Politbüro, Zentralkomitee, Ministerrat, Armee, Miliz und Staatssicherheit, doch ist es ihm gelungen, die mittlerweile veröffentlichten Sekundärquellen sowie die Fachliteratur bulgarischer und westlicher Provenienz in größtmöglichem Umfang zu ermitteln und auszuwerten.

Von ganz besonderem Wert, da z. T. statistisches Neuland betretend, sind 31 Tabellen zur Ethnostruktur des Landes im Anhang. Nach einleitenden Bemerkungen zu Zielsetzung und Methode sowie zu Forschungsstand und Quellenlage skizziert der Autor knapp Rahmenbedingungen und Bestimmungsfaktoren der Politik der regierenden bulgarischen Kommunisten gegenüber vier der ca. 20 ethnischen Minderheiten im Lande. Dabei konzentriert er sich zum einen auf die drei größten - Türken, Roma und Pomaken -, zum anderen auf die zwar bis 1948 viertgrößte, heute aber mit nurmehr ca. 3.000 Personen zahlenmäßig unbedeutende Gruppe der bulgarischen Juden. Die Einbeziehung der letztgenannten begründet der Autor plausibel damit, daß am Beispiel dieser Minderheit die Extreme der Nationalitätenpolitik der Bulgarischen Kommunistischen Partei (BKP) - nämlich zunächst staatliche Förderung gemäß sowjetischem Vorbild, dann aggressive Assimilationsversuche einschließlich Zwangsumsiedlung und schließlich massiver Aussiedlungsdruck, ja Vertreibung - gleichsam im Zeitrafferverfahren demonstriert werden können. Und in der Tat ist die Politik des bulgarischen Staates gegenüber seiner jüdischen Minderheit in der kurzen Zeitspanne vom Regimewechsel 1944 bis zur Aliah von 1948 paradigmatisch für den Kurs der regierenden Kommunisten gegenüber dem gesamten nichtbulgarischen Teil der Bevölkerung. Dies kann der Autor überzeugend anhand seiner anderen drei Fallbeispiele belegen.

Besondere Bedeutung mißt er dabei dem staatlichen Instrument zwangsweise durchgeführten Namensänderungen bei, das von der BKP - wie hier erstmals nachgewiesen - seit 1960/62 angewendet wurde. Wohl aufgrund des als gering eingeschätzten Risikos aktiven Widerstandes wurden als Testgruppe die bulgarischen Roma ausgewählt. Eine klare Fehleinschätzung war dann die Übertragung dieser Vorgehensweise auf eine andere ethnische Großgruppe, die besagten Pomaken. Diese widersetzten sich der 1970 beginnenden kommunistischen Zwangstaufe entschieden, was vom Regime mit brachialer Gewalt beantwortet wurde. Dadurch wurde die ethnische Kluft zwischen Titularnation und Minderheit weiter vertieft und die gesamtislamische Solidarität vor allem der Türken zu den Pomaken verstärkt. Das Zwangsmittel der Namensänderung trug also mitnichten zur Integration bei, sondern erwies sich als eines ihrer bedeutsamsten Hemmnisse.

Ungeachtet dieser überaus negativen Bilanz richteten die einem plumpen Leninismus verhafteten großbulgarischen "Ingenieure der Seele" im Zentralkomitee der BKP ihr Werkzeug Namensänderung 1984 sogar gegen die mit ca. zehn Prozent größte Minderheit des Landes, die bulgarischen Türken. Das Ergebnis war verheerend: Militanter Widerstand, offener Haß zwischen Bulgaren und Türken, Emigrationsdruck und Vertreibungsmaßnahmen kulminierten 1989 schließlich in einer Titularnation, Staatsapparat und Minderheit erfassenden Massenpsychose, welche die sowjetische Führungsmacht schließlich zur politischen Intervention in Sofia nutzte. Wie aufgepeitscht die Emotionen auf beiden Seiten waren, belegt die Tatsache, daß die ethnopolitische Hochspannung ungeachtet der dramatischen Veränderungen im politischen System des Landes noch mehr als zwei Jahre lang anhielt. Bei sämtlichen vier Minderheiten hat der Autor durchgängig deren demographisches, religiöses, bildungsmäßiges, soziales, ökonomisches und sozioprofessionelles Profil samt entsprechenden Veränderungsprozessen im Auge. Die Beschränkung auf die Minderheitenpolitik von Partei und Staat, wie sie der Titel der Arbeit suggeriert, ist somit glücklicherweise nicht wörtlich zu nehmen.

Vor allem diese breite Perspektive ist es auch, die dem Autor ermöglichte, die Auswirkungen dieser Politik konkret nachzuprüfen und zu messen. In allen vier Fällen wurden die selbstgesteckten Ziele verfehlt, ja ihr Erreichen eben durch die vielfältigen und gravierenden Nebenwirkungen des viel zu hoch hochdosierten Assimilierungsdruck in noch weitere Ferne gerückt. So akribisch der Autor auch die Entscheidungsprozesse an der Spitze der BKP zu rekonstruieren in der Lage war, so offen bleiben doch auch bei ihm gerade einige der zentralen Fragen bulgarischer Minderheitenpolitik. Dazu gehört etwa diejenige, was denn 1984 nun genau den Ausschlag zur drastischen Verschärfung der Türkenpolitik gegeben hat. War es die Folge eklatanter Fehlperzeptionen in der Zentrale oder ein eigenmächtiges Vorpreschen von Provinzfunktionären oder gar ein von langer Hand vorbereiteter, aber unzureichend umgesetzter Winkelzug, welche die armeeunterstützte Namensänderungskampagne im Südosten und anschließend Nordosten des Landes ausgelöst haben? Das Identifizieren und Herauspräparien der Hauptmotive für diesen Fehlgriff kann, so steht zu befürchten, wenn überhaupt dann nur anhand der Primärquellen geschehen. Und die sind, wie der Autor mehrfach moniert, bislang unzugänglich und daher ungesichtet, geschweige denn publiziert.

Der Autor war gut beraten bei seinem Entschluß, sich auf die drei überwiegend islamischen Großgruppen von Türken, Pomaken und Roma samt der Kontrollgruppe der Juden zu beschränken und andere Minderheiten wie etwa den Sonderfall der Makedonier auszuklammern. Zu fragen wäre allerdings gewesen, ob nicht parallel zu den bulgarischen Juden die zumindest partiell privilegierte Minderheit der bulgarischen Armenier mit in den Blick genommen hätte werden sollen. Der Hinweis auf die diesbezüglich schlechte Literaturlage überzeugt dabei nicht völlig. Und nach rein quantitativen Kriterien wäre auch ein Schlaglicht auf die überaus heterogene, aus religiösen Dissidenten des 19. Jahrhunderts wie Lipovanern und Skopzen sowie sogenannten Nekrasov-Kosaken, "weißer" Offiziersemigration der Bürgerkriegsjahre, "sowjetischen" Migranten der Nachkriegszeit und post-sowjetischer Zuwanderung zusammengesetzte Minderheit der Russen Bulgariens eine Überlegung wert gewesen. Denn nach Türken, Roma und Pomaken sind die Russen derzeit die vierstärkste Minderheit im Lande, die überdies kaum je unter den Assimilationsdruck Sofias geriet. Neben dem detaillierten Durchführungsteil sind es vor allem die prägnante Beschreibung von Aufgabenstellung, methodischem Vorgehen und Zielsetzung sowie die nicht minder griffige Zusammenfassung, die die Untersuchung als in sich abgerundetes Ganzes erscheinen lassen. Als Hauptergebnis hält der Autor fest, daß die bulgarischen Kommunisten die zwei Seelen in ihrer Brust, nämlich internationalistische Klassenideologie und assimilatorischen Ethnozentrismus, zu keinem Zeitpunkt in Übereinklang miteinander bringen konnten. Die Folge war ein permanentes Einerseits-Andererseits, ein Oszillieren zwischen so unterschiedlichen minderheitenpolitischen Polen wie Vertreibung und Integration. Das Resümee seiner Arbeit lautet daher: "Die Vermengung von nationalistischen und leninistischen Elementen in der bulgarischen Minderheitenpolitik von 1944 bis 1989 führte weder zur Überwindung der sozialen noch der ethnischen Unterschiede innerhalb der bulgarischen Gesellschaft. Im Gegenteil, die ethnischen Spannungen verschärften sich noch durch die Assimilationsmaßnahmen. Möglicherweise hätte die Politik der wirtschaftlichen und sozialen Integration langfristig zu den gewünschten Ergebnissen geführt. Aber durch das Schwanken zwischen Zwangs- und Beschwichtigungsmaßnahmen, zwischen Namensänderungen und Aussiedlungswellen auf der einen Seite und Privilegien beim Studienzugang und regionaler Wirtschaftsförderung auf der anderen Seite, konnte die BKP kein Vertrauen bei den Angehörigen der Minderheiten gewinnen" (S. 202). Zum Schluß bleibt daher lediglich die Frage, warum Ulrich Büchsenschütz' profunde Untersuchung, die am Osteuropa-Institut der Freien Universität Berlin entstanden ist, zwar in bulgarischer Übersetzung von einer namhaften bulgarischen Nichtregierungsorganisation, dem "Internationalen Zentrum für Minderheitenprobleme und kulturelle Wechselwirkungen" (IMIR), veröffentlicht wurde, sich dafür aber keine deutsche Publikationsreihe und kein deutscher Wissenschaftsverlag gefunden haben.

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